Warum du als gute Lehrkraft kein:e Expert:in in deinem Fach sein musst - Lebensort Schule

Warum du als gute Lehrkraft kein:e Fachexpert:in sein musst

"We're afraid of being just ok at things."
- Beginners: The Curious Power of Lifelong Learning -

Schon im Studium war es meine größte Sorge: Was, wenn ich später vor den Schüler:innen stehe und etwas nicht weiß? Wenn ich fachlich einfach nicht gut genug aufgestellt bin, um alle Fragen beantworten zu können? Ich kam mir wie eine Hochstaplerin vor, die hier, zwischen all den Fachexpert:innen sitzend, völlig fehl am Platz zu sein schien. Ich war gefühlt nie so interessiert wie die anderen, nie so eloquent, nie so allgemeinwissend. Dass ich trotzdem gute Noten schrieb? Allein meinem Talent zu verdanken, mir Dinge schnell merken zu können (die ich dann aber ebenso schnell wieder vergaß.)

Dieses Gefühl, fachlich im Prinzip null Ahnung zu haben, erzeugte in mir einen riesigen Druck. Gleichzeitig war es tatsächlich so, dass ich die Studieninhalte zwar anfangs immer ganz spannend fand, doch relativ schnell auch wieder das Interesse daran verlor und mich schon wieder mit den nächsten Inhalten beschäftigen wollte, kaum hatte der Kurs begonnen. Mein Fazit daraus? Du kannst anscheinend nicht an den Dingen dranbleiben.

Ich verurteilte mich dafür. Und noch heute bewundere ich Menschen, die sich jahrelang mit einer Sache beschäftigen können und wollen und dadurch ein unglaubliches Expert:innenwissen darin entwickeln. Dennoch glaube ich heute nicht mehr, dass das eine Eigenschaft ist, die man als Lehrkraft haben muss. Vielleicht sogar im Gegenteil.

In seinem Buch "Beginners: the curious power of lifelong learning" beschreibt der Autor Tom Vanderbilt es folgendermaßen: "Curiously, we seem to learn better when we watch the error-filled efforts of novices. When we watch the flawless performance of experts, after all, were watching someone who isn't learning. Seeing learning happening actually helps us learn.“

Als Expert:in in einem Fach können wir mit Sicherheit Menschen beeindrucken und inspirieren - doch es kann schwerer sein, Menschen beim Lernen zu begleiten, da wir nicht mehr nachvollziehen können, wo die Hürden sind. Wir verstehen nicht, was denn so schwer daran sein soll, diesen Satz in seine Satzglieder zu zerlegen, weil wir es selbst schon lange beherrschen - und uns nicht mehr daran erinnern können, mit welchen Schwierigkeiten wir damals konfrontiert waren, bis wir die Grammatik verstanden haben.

Ich gehöre übrigens nicht zu denen, die von sich behaupten würden, die Grammatik verstanden zu haben, obwohl ich Deutsch studiert habe. Deshalb habe ich auch jedes Mal mit meinen Schüler:innen mitgelitten, wenn der Rahmenlehrplan mich dazu gezwungen hat, die Satzglieder zu behandeln. Manchmal stand ich dabei selbst ratlos vor der Tafel und habe mit meinen Schüler:innen gemeinsam versucht, den Satz auseinanderzunehmen. Ich habe Fehler gemacht, habe diese erkannt, habe gemeinsam mit den Schüler:innen recherchiert und die Lösung gefunden. Und ich habe jede Menge Empathie geschenkt (auch mir selbst), dass wir uns gerade mit diesem mühsamen Thema auseinandersetzen müssen.

Waren meine Schüler:innen danach alle Expert:innen im Satzglieder bestimmen? Natürlich nicht. Ist es für ihre Zukunft unabdingbar, Satzglieder bestimmen zu können? Eben.

Doch was sie erlebt haben, ist eine Person, die sich durch etwas durchquält, das ihr selbst keinen Spaß macht und von dem sie dennoch weiß, dass es getan werden muss - und es deshalb trotzdem durchzieht. Sie haben eine Person erlebt, die Fehler macht und mit diesen konstruktiv umgeht, um daraus zu lernen. Und sie haben eine Person erlebt, die offen kommuniziert, keine Expertin in diesem Gebiet zu sein - und fein damit ist, weil ihr Selbstwert nicht mehr ausschließlich davon abhängt. Und das halte ich persönlich für ein wertvolleres Learning als das Wissen über Satzglieder.

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