
Was Projektarbeit mit (Selbst)fürsorge zu tun hat
Ich war nie der Typ Lehrkraft, der gerne vorne stand und entertaint hat. Dafür wurde ich im Ref auch oft etwas skeptisch beäugt: Wie kann sie denn Lehrerin werden wollen, wenn sie nicht gerne im Mittelpunkt steht? Es war nicht so, dass ich das nicht KONNTE – doch ich merkte hinterher immer, wie viel Energie es mich kostete.
Nachdem ich mit einem Kleinkind nach dem Ref meine erste Arbeitsstelle als Lehrerin antrat, wurde mir sofort klar: An dieser Schule wird klassischer Frontalunterricht für mich nicht möglich sein, wenn ich nicht nach einem halben Jahr ausgebrannt sein möchte. Die Schüler:innen waren nicht angepasst und kamen meist mit großen Päckchen, wenn nicht sogar Paketen in die Schule. Die Priorität lag hier nicht auf Fachunterricht, durfte nicht auf Fachunterricht liegen.
Ich sah Lehrkräfte kommen und gehen, die versuchten, so zu unterrichten, wie sie es im Ref gelernt hatten – und dabei kläglich scheiterten. Die Schuld wurde meist bei den Schüler:innen gesucht. Auch ich kam jedes Mal über meine Grenzen, wenn ich versuchte, „richtigen Unterricht“ zu machen. Also beschloss ich, das Korsett Unterricht so oft wie möglich aufzubrechen und die Schüler:innen selbstständig arbeiten zu lassen, in ihrem Tempo, oft auch an einem frei gewählten Ort. Für die Schüler:innen. Aber auch für mich. Um mich und meine Ressourcen zu schützen, die zu Hause weiter gebraucht wurden.
Ja, es gab Schüler:innen, die sich dabei zurückgelehnt haben und meine Stunden vor allem für den sozialen Austausch genutzt haben. Und ja, ich konnte das nicht immer geduldig begleiten, ich wurde oft unruhig, machte mir Sorgen, dass meine Schüler:innen bei mir nichts lernten, versuchte zu drängen. Meistens hatte das nur den Effekt, dass sich diese Schüler:innen emotional immer weiter von mir entfernten und erst recht nicht bereit dazu waren, ihre Aufgaben zu erledigen.
Was sie gebraucht hätten? Beziehung, Beziehung, und noch mehr Beziehung. Vertrauen, Verständnis und bedingungsloses Wohlwollen. All das, was sie zuhause oft nicht bekamen.
Viel zu oft fehlt in der Schule die Zeit für diese absolute Grundlage, ohne die Schüler:innen nicht lernen können. Wenn es schon an den Grundbedürfnissen so sehr mangelt, brauchen wir nicht anfangen, Grammatik zu erklären. Projektarbeit kann dieses Zeitfenster zumindest ein bisschen öffnen. Denn wir können wahrhaft präsent sein, können mit den Schüler:innen ins Gespräch gehen, können Beziehung aufbauen, wenn das gerade wichtiger ist als das Akkusativobjekt. Durch Projektarbeit gewinnen wir mehr Flexibilität, um sowohl unseren eigenen als auch den Bedürfnissen unserer Schüler:innen ein wenig gerechter zu werden.
Projektarbeit ist für mich vor allem eines: ein Akt der (Selbst)fürsorge. Und das brauchen wir in einer Zeit, in der ALLE in Schule überlastet sind, besonders dringend.