
Mein erstes Jahr in der Selbstständigkeit nach dem Lehrberuf - eine Achterbahn der Gefühle
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Seit 10 Monaten bin ich nun voll selbstständig und nicht mehr an einer Schule tätig. Und ich fahre immer noch eine Achterbahn der Gefühle, die sich irgendwie nicht richtig entscheiden wollen, ob sie das jetzt gut finden oder nicht.
Ich habe noch nie so lange keinen Kontakt zu Jugendlichen gehabt. Ich habe schon als ich selbst noch Schülerin war angefangen, Nachhilfe zu geben. Nach der Schule habe ich ein freiwilliges soziales Jahr in Südamerika gemacht - und dort unterrichtet. Und auch während des Studiums habe ich immer Nachhilfe gegeben, um nebenbei Geld zu verdienen. Und ich glaube, das ist es auch, was ich am meisten vermisse.
Es ist nicht das Unterrichten selbst. Das vermisse ich ehrlich gesagt wenig. Schon nach zwei Jahren als „fertige“ Lehrerin konnte ich den Lehrstoff schon nicht mehr sehen, erschien mir doch so vieles davon so irrelevant. Es sind viel mehr die zwischenmenschlichen Momente, an die ich manchmal regelrecht wehmütig zurückdenke. Und die mir gleichzeitig am meisten abverlangt haben.
Ich habe mich nie so gestresst gefühlt wie als Lehrerin. Die Schule hat mich sozial völlig ausgelaugt, es war immer zu viel. Oft kam ich nach der Schule nach Hause mit dem Gefühl, heute nicht gut gehandelt zu haben, zu ungeduldig, nicht souverän genug gewesen zu sein. Ich war danach meistens zu nichts mehr in der Lage, außer mich auf mein Sofa zu werfen. Das ist jetzt anders. Ich arbeite, und habe danach noch Energie, um meinen Hobbys nachzugehen (bzw. um überhaupt wieder ein Hobby zu entwickeln) oder mich sogar - zu Schulzeiten für mich unvorstellbar - unter der Woche noch mit einer Freundin zu treffen.
Gleichzeitig gab es in der Schule auch immer ein Gefühl der Verbundenheit, mit Schüler:innen, mit Kolleg:innen, das mir jetzt manchmal fehlt. Und ein starkes Gefühl der Selbstwirksamkeit in den Momenten, in denen ich es doch geschafft habe, den oder die eine:n Schüler:in zu erreichen - ein Gefühl, das ich in der Remote-Arbeit vermutlich in dieser Intensität nie haben werde.
Meine jetzige Arbeit ist sinnvoll und ich bin auf rationaler Ebene davon überzeugt, dass sie ihren Teil zu einem dringend notwendigen Schulwandel beitragen kann. Ich arbeite tendenziell sogar mehr Zeitstunden als zuvor in der Schule. Und doch beschleicht mich ab und zu dieses Gefühl. Obwohl, es ist eigentlich mehr eine Stimme als ein Gefühl. Eine kleine, gemeine Stimme, die mir zuflüstert: Du tust nichts Wichtiges mehr. Du sitzt den ganzen Tag zuhause am Laptop - und DAS nennst du Arbeit? Dass so der Alltag vieler, vieler Menschen im Beruf aussieht, ignoriert diese Stimme.
Ich bin jetzt so flexibel und frei, wie ich es mir zu Schulzeiten immer gewünscht habe - und das weiß ich auch immer noch sehr zu schätzen. Die Arbeit fühlt sich nicht mehr so intensiv an, sie ist (relativ) konstant und erlaubt mir, auch neben ihr noch ein Leben zu haben. Und das ist schön - und irgendwie ungewohnt.
Es ist, als müsste ich gerade lernen, dass Arbeit auch weniger anstrengend sein darf. Dass das nicht heißt, dass sie dadurch weniger wertvoll ist. Und dass es ein gutes Zeichen ist, dass ich gerade wieder mehr Kapazitäten für andere Dinge neben dem Beruf habe. Ob es letzlich das ist, was ich die nächsten 10-20 Jahre machen werde, das wird sich noch zeigen.